"Lebt denn die alte M-Küche noch?"
Geschrieben am 29.03.2015 2015-03-29 | Aktualisiert am 02.04.2015

"Tolles Cafe mit Liebe zum Detail !"
Geschrieben am 27.03.2015 2015-03-27

"Mittelmäßiger Italiener"
Geschrieben am 27.03.2015 2015-03-27

"Bester Italiener in Charlottenburg - exquistie abwechslungsreiche Küche"
Geschrieben am 27.03.2015 2015-03-27

"Typische italienische Gerichte, Pasta perfekt - empfehlenswert!"
Geschrieben am 27.03.2015 2015-03-27

"Leckeres chinesisches Essen"
Geschrieben am 23.03.2015 2015-03-23

"Bester Fisch und Oktopus der Stadt im Prenzlauer Berg, direkt am Kollwitzplatz"
Geschrieben am 13.03.2015 2015-03-13 | Aktualisiert am 13.03.2015

"In jedem Reiskorn wohnen sieben Götter"
Geschrieben am 12.03.2015 2015-03-12

"Billabong heißt Wasserloch"
Geschrieben am 11.03.2015 2015-03-11

"Frau Müller muss weg"
Geschrieben am 11.03.2015 2015-03-11

"Gute Sushi für kleines Geld"
Geschrieben am 08.03.2015 2015-03-08

"Cafe Melanie"
Geschrieben am 08.03.2015 2015-03-08

"In Zeiten des Rinderwahnsinns"
Geschrieben am 06.03.2015 2015-03-06

"Bodenständige chinesische Küche"
Geschrieben am 03.03.2015 2015-03-03

"Restaurant Eckstein"
Geschrieben am 02.03.2015 2015-03-02

"Don Camillo"
Geschrieben am 02.03.2015 2015-03-02

"Rosati"
Geschrieben am 02.03.2015 2015-03-02

"Mokka Bar"
Geschrieben am 02.03.2015 2015-03-02

"Eines der besten Restaurants in Pankow"
Geschrieben am 01.03.2015 2015-03-01

"Am Rande des Parks"
Geschrieben am 01.03.2015 2015-03-01

Es ist wohl ein Outing fällig. Nachdem selbst Champagner-affine Porschefahrer hier ihre gelegentliche Sympathie für Schmelzkäsescheiben bezeugten, schreib ich's geradeheraus: Ja, ich fand und finde Molekularküche gut. Bis sie sich selbst in andere Sphären begab und in Rauch auflöste, war die Aufspaltung von Aromen und die Darreichung in neuen Texturen eine Bereicherung für die Gourmetküche. Neue Erfahrungen konnten gemacht werden und es gab das Beste, was eine Küche anbieten kann: Überraschungen.
Mehdi Hossein Kazemi ist ein Jünger Adriás (via Rienzner im Maremoto), weiß aber, dass während der Hexenjagd der Ketzer den Kopf tunlichst unten halten sollte, um ihn nicht ganz zu verlieren. Ob es deshalb seine persönliche Extrakarte nur auf Nachfrage gab oder, weil der Tagesspiegel moniert hatte, des Abends nicht als erstes die preiswertere Karte mit den deutschen Spezialitäten erhalten zu haben, wer weiß? Vielleicht sah ich des Abends im immer noch recht neuen Steigenberger am Kanzleramt nicht solvent genug aus, mir 7 Gänge (der Gast wählt aus 10) für 119€ oder die kleine Variante mit 4 (nach Gusto des Chefs) für 69€ leisten zu wollen. Die Internet-Karte ist veraltet. Für die Weinbegleitung (5 mal 0,1l) schlugen nochmals 31€ zu Buche. Durch die durchschnittlich 17€ pro Gang kam trotz eines Literpreises von 11,6€ für das "günstigste" Mineralwasser ein guter MWI von 1,46 heraus. Ich bat trotzdem um Tafel- oder Leitungswasser, das (ungefragt, aber gern genommen) mit Eiswürfeln im Krug serviert und nicht berechnet wird.
Der reservierte Tisch ist eingedeckt, u.a. mit Hepp-Besteck, frischer Blume und hübsch in Form gebrachter Stoffserviette. Keine Tischdecke auf dem dunklen Holz, dafür wieder mal ein schlabberiges Plastikset in Flechtoptik. Als ich etwas gedankenverloren damit spiele, plötzlich ein déjà-vu. Mittags im Steigenberger Bremen auch schon darüber gelästert, was sowas in einer gehobenen Gastronomie zu suchen hat. Das Ambiente des Raumes hat mir gut gefallen, dunkle Hölzer und ein zeitgemäßes farbiges Lichtkonzept sind zwar schon häufiger gesehen, schaffen aber eine loungige Atmosphäre. Was auf dem Teller kommt, ist gleichwohl gut zu erkennen. Mehrere Bildschirme sind ein Zugeständnis an die überwiegend männliche Geschäfts-Kundschaft, sie sind für die Bar passend, aber dem Restaurant-Erlebnis nicht zuträglich. Sehr schön der transparente Raumteiler aus sich kreuzenden Drähten sowie Silberkugeln. Das Motiv findet sich in den Speisekarten wieder. Die Tische sind klein und niedrig, man sitzt auf gut gepolsterten Bänken in warmen Farben (z.B. rostrot) oder auf niedrigen Clubsesseln mit Chromdrehgestell. Sehr chic und unglaublich unbequem. Mir ist nach wenigen Minuten klar, so, ohne nennenswerte Lehne, das hält mein Rücken nicht zwei bis drei Stunden aus. Das Alter halt... Alle anderen Tische sind besetzt oder reserviert, so dass ich kurzentschlossen einen Umzug in eine loungige Ecke der Bar erbitte. Kein Problem für den Service, das ist erfreulich. Zwar mit einem sehr kleinen runden Tisch erkauft, aber mit den großen glänzenden Kissen im Rücken fühle ich auf meiner Bank wie der Schah persönlich.
Wird der Service mich entsprechend behandeln?
Nach meiner Erkundigung, ob Herr Kazemi denn im Hause sei, fragte der junge Mann, der mich durch den Abend begleitet, ob er mich beim Chef anmelden solle. Das schmeichelt zwar, aber so wichtig ist DerProvinzler doch nicht. Mir ging es nur darum herauszufinden, ob denn auch in der Küche ein wachendes Auge wäre, denn Bar und kleiner Restaurantteil waren wegen mehrerer Veranstaltungen im Hotel sehr gut gefüllt. Ich hatte erst eine Stunde vorher den wohl letzten Tisch reserviert. Leider stellte sich meine Befürchtung, die Küche werde am Rande der Kapazität agieren, als nicht ganz unbegründet heraus.
Und auch der Service war über die Maßen gefordert, als immer mehr Gäste aus der Lobby in die Bar strömten. Die Entscheidung, zur zweiten Halbzeit doch das Dortmund-Spiel zu zeigen, bringt Umsatz, aber die erst drei, später nur noch zwei verbleibenden Kräften zum rotieren. Trotzdem ist das junge Team freundlich und sehr engagiert. Der junge Mann vom Fach überreicht mir die Karten geöffnet und erzählt, dass er sich gerade in der Sommelier-Ausbildung befinde. Er lässt mich ausführlich an seinen Überlegungen zur Weinauswahl teilhaben und auch das Annoncieren ist so vollständig, wie seit langem nicht mehr. Die Wartezeiten halten sich bis auf eine Ausnahme im Rahmen, mit einer Begleitung wären sie ohnehin völlig in Ordnung gewesen. Bei jedem Gang wird die Zufriedenheit kurz nach den ersten Bissen und beim Ausheben erfragt, korrekt, aber etwas stereotyp wie der vielfach wiederholte Wunsch eines "sehr guten Appetits". Wasser schenke ich mir selber nach. Natürlich fehlt Souveränität, was sich regelmäßig durch ein befremdliches Kichern (er, nicht ich...) bemerkbar macht. Aber das ist natürlich und kann sich mit der Erfahrung legen. Hauptsache, mit Herzblut bei der Arbeit.
Als Aperitif wähle ich einen typischen Rheingau-Riesling Sekt der Sektkellerei Baum aus Rüdesheim 7€/0,1l (alternativ Champagner Laurent Perrier 0,1l ab €12/14 weiß/rosé oder 13/15€, je nach Karte... Flaschen bis 280€ für Dom Perignon Vintage 2008).
Für den ersten Hunger vier Scheiben einfaches weißes Baguette mit nur noch mäßig krosser Kruste. Dazu (ital.) Olivenöl und Balsamico sowie in einer Menage hausgemachter Kräuterquark, frische Kresse (!), Fleur de sel und frisch gemahlener, sehr schmackhafter Assam-Langkornpfeffer.
Ansonsten kein Amuse, auch kein Sorbet oder Pre-Dessert, das ist absolut zuwenig in dieser Preisklasse. Vielleicht auch nur ein einmaliger Fauxpas, der auf personellen Ausfällen in der Küche beruht. Trotzdem ärgerlich.
Meine Menüauswahl bestand aus
Wachtel Wildkräutersalat Pinie
Die saftige Wachtelbrust sous vide gegart, mit Olivenöl natur und Meersalz. Feines Aroma. Angerichtet auf einer Piniencreme, die einen herben Geschmack beisteuerte. Daneben Wildkräuter und Blüten auf einer scheinbaren Scheibe Pumpernickel, die aber aus Crumble geformt war. Schließlich Eis und Sand von schwarzen Oliven. Letzterer erstmals ein wenig Molekularküche, gefriergetrocknet und gemahlen. Ich hätte aber intensiveren Geschmack erwartet. Gleichwohl ein gelungener Auftakt.
Dazu Grauburgunder aus Baden vom Weingut Franz Keller (Schwarzer Adler), der die auch an den Geschmacksknospen zarte Wachtel nicht zudeckte.
Stör Landschinken Bärlauch
Störfilet ebenfalls sous vide, dann geflämmt mit Hibiskussalz, sehr saftig mit schönen Röstaromen. Dazu eine Emulsion vom Landschinken, das war eben eine typische Molekular-Überraschung, völlig unerwartet, der kräftige Schinkengeschmack in der hellen Majonäse. Dazu Kaviar vom Zuchtstör sowie solcher vom fliegenden Fisch mit Wasabi. Das war der einzige Störfaktor, die Schärfe stand recht alleine. Vermutlich der Farbe wegen gewählt. Aus dem Maremoto bekannt Gummibärchen, also Geliertes, hier vom Bärlauch deutlich im Geschmack und in der Farbe.
Der ausgesuchte Rheingau-Riesling wäre nicht meine erste Wahl gewesen und blieb etwas flach.
Eisbein Linsen Fenchel
Da Fenchel zu meinen 5 kulinarischen no-gos gehört, bat ich um Ersatz.
Der Gang wurde als einziger nicht auf Porzellan, sondern der gefühlt auf dem Rückzug befindlichen Schieferplatte serviert und dampfte gehörig. "Nicht vor Hitze, vor Kälte!", wie der junge Mann verschwörerisch flüsterte. Auch ihn werden wir kriegen... Denn natürlich war es flüssiger Stickstoff, mit dem die Scheiben vom Eis(!)Bein gefrostet waren, ebenso der Risotto. Dazu ein Salat von verschiedenen Linsen und eine dunkelgrüne Eisbein-Praline. Das Fleisch sehr intensiv im Geschmack, nachdem sich der Trockeneis-Effekt verflüchtigt hatte. Gekocht, ausgelöst und dann, wenn ich richtig verstanden habe, durchgedreht, gepresst, gefrostet und frisch in ultradünnen Scheiben aufgeschnitten. Wie gesagt: I love it! Der Risotto hat dagegen nicht viel gewonnen. Nicht crunchig, sondern eher wie eine trockene Waffel. Keine aromatisierende Zutat erkennbar. Interessant, aber nicht mehr. Der Linsensalat hatte eine schönes Süße-Säure-Spiel und konnte farblich grün-gelb zur Praline überleiten, die enttäuschte. Sehr trocken und der Farbträger (Spinat? Grünkohl? Mangold?) nicht identifizierbar. Positiv dagegen das erfrischende Zitronensorbet, das anstelle des Fenchel kam. Nicht zu säuerlich schloss es die Palette ab. Leider war die wohl hohle Kugel eingestürzt.
Zum Schwein ein roter Bio-Wein aus dem Penedes. Nichts weiter an Infos. Wenig Tannine, etwas rote Früchte. Passt. Nicht weiter zu sagen.
(Versteckte) Flusskrebse Aprikose Pfefferminz
In vier Vertiefungen wohl 30 oder mehr Krebsschwänze, darüber eine Aprikosencreme, gedeckelt von einem schönen dunkelgrünen Geleekreis. Sah nach Alge aus, aber die Minze war fein zu schmecken. Eine interessante Kombi mit den Schalentieren, die durch die süß-fruchtige Creme verbunden wurde. Aber nur, wenn man die Frucht sehr sparsam portionierte. Ansonsten erschlug die Süße den Rest, wobei ich gestehen muss, dass die Krebse auch nicht intensiver schmeckten, als Zuhause gewohnt. Dafür aber etwas zu salzig. Immerhin die Textur angenehm fest. In der Mitte des Porzellans nochmals der schon aus dem ersten Gang bekannte Wildkräutersalat.
Durchaus als ernsthafte Kritikpunkt gemeint: Der Gang war innerhalb eines 7er-Menues viel zu reichlich bemessen. Für schmale Esser wäre es eine veritable Vorspeise gewesen. Ein oder zwei Kaisergranat (gerne! sous vide) wären soviel "mehr" gewesen.
Ein sehr guter Griff gelang dem Sommelier-Anwärter mit dem Portugieser Weißherbst aus der Pfalz, dessen Restsüße sich gut zu behaupten wusste. Sehr stimmig.
Ich hatte gebeten, keine Pause zu machen. Den Wunsch konnte die Küche offenbar nicht erfüllen.
Flankensteak Blumenkohl Sauerkirsche
Zwei Tranchen Plus9-marmoriertes US Prime Beef erneut sous vide gegart und dann übergrillt. Ein Streifen perfekt medium rare, einer leider schon weiter. Ich kann Flanksteak wenig abgewinnen, mir ist das Fleisch zu fest. Onglet, das wärs gewesen... Dazu zweimal Blumenkohl, als Espuma und als Couscous, letzterer sehr saftig und ganz intensiv im Geschmack, das war wieder überzeugend. Warum Couscous, ist mir nicht klar geworden, vielleicht, weil der Blumenkohl so geformt wurde, dass er ähnlich aussah. Auch der Schaum hatte einen kräftigen Geschmack und war mit Estragon gepudert. Vermutlich schockgefrostet und dann gerieben. Schließlich eine Sauerkirschsauce, die die Bittersüße des Kohl mit ihrer fruchtigen Säure gut kontrastierte. Auch hier war es des Guten zuviel. Eine Tranche hätte genügt. Interessant das mächtige Geschirr in der Form eines Nackenkissens.
Dazu folgerichtig ein passabler Bordeaux Château Loyasson.
Hecht Rhabarber Estragon
Ein Stück Hecht - Na? Klar: - sous vide und überflämmt mit Öl. Trotzdem aufgrund des mageren Fleisches etwas trocken. Dazu eine unverständlich große Menge Estragonpulver, noch geeist. Mit höherer Temperatur schmolz es und wurde matschig. L'art pour l'art. Dagegen schön zum Fisch der Rhabarber als Kompott und als aufgedrehte Geleestreifen.
Hier der einzige Fehlgriff beim Wein, aber evtl. schuldlos. An sich der Pfälzer, säurebetonte Riesling auch zum Rhabarber eine gute Wahl. Kein Stück Verstärkung. Jedoch hatte die Küche (ohne Absprache?) ein Paprikaöl zum Fisch gewählt, das ich a) nicht als gut gewählt empfand und b) dessen Schärfe vom Wein ganz unglücklich gehoben wurde.
Litschi Drachenfrucht Sesam
Auf einem Bett kleiner Drachenfruchtwürfel eine Nocke sehr cremiges Eis, die Litschi geschmacklich gut erkennbar. Darauf eine große Tafel Litschikrokant mit schwarzem Sesam. Das Gebäck hatte eine gewisse Schärfe, die gut zum recht süßen Eis passte. Ein runder, wenngleich nicht begeisternder Abschluss, dafür fehlten noch weitere Geschmackskontraste. Zudem farblich recht eintönig.
Dazu ein Sauternes, der vorzüglich mit dem süß-pikanten Krokant harmonierte.
Das PLV ist etwas knifflig. Es war zwar mengenmäßig viel, sogar zuviel. Angesichts der guten, aber nicht luxuriösen Zutaten letztlich etwas überteuert. Ich könnte mir bei einigen Gängen andere Komponenten vorstellen. Oder eben bei zurück genommenen Mengen einen reduzierten Preis. Günstig dagegen die Weinbegleitung, zumal mindestens drei Flaschen
frisch geöffnet wurden. Ob aus Versehen, aus Freude an den eigenen Kenntnissen oder zum Ausgleich für die schwankenden Küchenleistungen: Jedenfalls wurden ohne Berechnung alle Gänge begleitet, nicht nur deren fünf, wie es vorgesehen war.
Herr Kazemi verabschiedete mich persönlich und entschuldigte sich für die unterbesetzte Küche, die manches nicht so auf den Teller bringen konnte, wie "ich es mir gern vorgestellt hätte". Bleibt die Frage, ob man an solchen Tagen das große Menü überhaupt anbieten sollte, wenn man es nur eingeschränkt hinbekommt...
Fazit:
Die Küche überfordert sich. Die Ressourcen, die ein siebengängiges (Molekular-)Menue verlangt, stehen offenbar nicht zur Verfügung. Weniger (nicht nur bei der Menge) wäre mehr, denn viele Einzelteile waren gelungen. Auch das Bar-Ambiente mit
n-tv etc. auf allen Bildschirmen passt nicht recht zu dieser eher intellektuellen Küche, die nicht "nebenbei" genossen werden kann.
Ich werde dem Inmitten noch einmal an einem ruhigeren Abend eine Chance geben. Für Gäste, die erste Bekanntschaft mit experimentierfreudiger Küche in einem ungezwungenen Ambiente machen wollen, sicher eine Empfehlung.